Plan: Mal wieder eine 16 km lange Laufstrecke angreifen – zum ersten Mal nach dem Muskelfaserriss.
Also mit der S-Bahn zum Startpunkt gefahren, um von dort zurück zu laufen. Je nachdem, wären auch mehr Kilometer möglich. Mir gefiel der Gedanke, am Ende doch noch 18 km (oder mehr?) draus zu machen. Purer Sonnenschein, ca. 17°C, kräftiger Wind, in mir Freude beim Loslaufen.
Nach nur 12 Minuten: Die Brücke über die Autobahn war gesperrt. Nicht nur die Autobahn musste aber überwunden werden, sondern auch die S-Bahnlinie. Direkt vor der Brücke führte ein Weg nach rechts in den Wald hinein… na bitte! Und nur lächerliche 40 Minuten später erreichte ich schließlich wieder die gesperrte Brücke. Glücklicherweise auf der anderen Seite. Dazu war ich unter anderem über einen Schlossplatz gelaufen, auf dem gerade Hochzeitsgäste lustwandelten, geriet am Ende in eine Sackgasse voller Gestrüpp. Zurück ging es durch hohes Gras und Brennesseln; eine interessant gestaltete Strecke mit Kanninchenlöchern und dornigen Strängen. Einen Schreck bekam ich auf der Alternativstrecke auch: Im Vorbeilaufen hielt ich diese Gestalten für lebendige Wesen:
Mit großen Augen und stark klopfendem Herzen lief ich noch paar Schritte weiter, musste mich dann aber vergewissern. Hätte mich da auch voll genervt, wenn die gelebt hätten; da hätte ich ja fragen müssen, ob ich ein Foto von denen machen darf. Dazu wäre ich zu schüchtern gewesen.
Wer erfahren möchte, wie sehr negative Gedanken schwächen, braucht ja nur mal so einen lockeren Lauf machen und sich dabei ein wenig über dieses oder jenes zu ärgern. Nur ein kleines bisschen. Und doch saugt es dermaßen Energie aus der Muskulatur! Wie schnell ich da positives Denken lerne, um nur ja nicht mitten auf der Strecke liegen zu bleiben.
Am Ende sind es dann nur 15 km geworden. Es wäre nach dieser Zusatzrunde zu weit nach Hause gewesen (bin wegen der Wade ängstlich. Nur nicht überlasten und eine erneute Verletzung riskieren.) Also habe ich für den Rest die Bahn genommen. Auch gut! Ganz andere Dinge gesehen als erwartet.
Ich war schon seit einigen Wochen im leichten Kaloriendefizit. Obendrauf noch eine Speedweek ist eine deutlich spürbare Belastung für den Körper. Ein weiterer Auslöser für den Traum war eine Einladung von einem Trainer, die ich zu beantworten vergessen hatte, obwohl ich mich über die unerwartete Einladung gefreut hatte. So nahm ich die Einladung erst kurz vor Toresschluss dankend an.
Traum: Einladung zum Minimalistic Rap
Als ich zur Besinnung komme, stehe ich unten im Treppenhaus meines Elternhauses. Vor mir ein Wäscheständer, auf dem ich frisch gewaschene Kleidungsstücke verteile. Meine Schwester steht neben mir und wir bequatschen, was wir gleich Schönes unternehmen wollen. Ich bemerke ein uns umgebendes Zwielicht, öffne – einem unbewussten Impuls folgend – die Haustür und schaue durch den Türspalt hinaus. Ah, draußen am Gartenzaun steht ein Hochzeitsbitter. Ich erkenne ihn an seinem Zylinderhut. Er stellt sein altes Fahrrad ab, nimmt ein Klemmbrett¹ aus dem Fahrradkorb und zückt einen Kuli.
Noch etwas atemlos von der Fahrt, schaut er mich an und verkündet: „Ich komme wegen der Einladung zum Minimalistic Rap! Willst du …“
Rasch unterbreche ich ihn, denn mir fällt es jetzt auch wieder ein: „Ach du Schreck, ja, ich habe die Einladung per Mail erhalten, nur noch nicht geantwortet. Ist es so eilig? Ganz klar, bin dabei!“
Er hebt das Klemmbrett, um meinen Namen in die Teilnehmerliste einzutragen. Er macht eine auffordernde Geste in meine Richtung, ich solle wegen der nötigen persönlichen Angaben zu ihm kommen. Da fällt mir ein, dass ich untenrum nur mit einer ausgeleierten Unnerbüx Typ „Grauschleier“ bekleidet bin. Auf gar keinen Fall kann ich so zu ihm gehen! Deshalb rufe ich schnell: „Ich sende die Zusage gleich per Mail!“
Nein, er schüttelt den Kopf, sein Auftrag sei, meine Zusage hier und jetzt schriftlich festzuhalten.
Was mache ich denn jetzt bloss … Mit einer Geste fordere ich meine Schwester auf, zu ihm zu gehen, meine Daten anzugeben, damit mir ein Moment Zeit bliebt, mich rasch anzuziehen. Nebenbei nehme ich eine viereckige Waschschüssel entgegen, die mir der Hochzeitsbitter reicht. Die Schüssel ist mit einer klumpigen Masse gefüllt.
Mit nur wenigen entschlossenen Schritten gelange ich in die Waschküche. Hier ist es ziemlich düster. Auf dem Herd in der Ecke steht eine große, bereits angeheizte, gußeiserne Pfanne. Die Waschschüssel ist mit einer riesigen Portion halb gestocktem Rührei gefüllt, das ich jetzt in der Pfanne garen will. Der bullernde Herd strahlt wunderbare Wärme an meinen Bauch ab. Allein die Wärme und der Anblick der Speise lassen ein Gefühl glückseliger Sattheit in meinem Bauch entstehen. Rührei … wie köstlich. Alles andere ist damit vergessen.
Ein kleiner Rühreirest ist noch in der Waschschüssel. Erst jetzt schaue ich genauer hin. Huch, was schwimmt da für ein großer Flatschen im Ei?? Sieht ja aus wie ein graues Scheuertuch?! Verständnislos glotze ich das in der Pfanne brutzelnde Rührei an. Moment … Nein, oder? Mir fällt es wie Schuppen von den Augen: es war gar kein Rührei, das mir der Hochzeitsbitter gab, sondern es sind lauter grau-dreckige Putz- und Geschirrtücher, in Waschlauge eingeweicht. Er wollte wohl nur kurz die Hände zum Schreiben frei haben; deshalb gab er mir die Schüssel. Mit Entsetzen wird mir klar: ich muss ganz schnell die Schüssel zurückbringen. Womöglich glaubt er sonst, ich wolle ihn bestehlen! Verdammter Mist, die Tücher sind inzwischen richtig angebraten und zu einer festen Masse gestockt. Leise Panik steigt in mir auf. Zum Nachdenken ist keine Kapazität im Kopf frei. Mit entschlossenem Schwung greife ich die schwere Pfanne an ihrem langen Stiel und kippe das vermeintliche Rührei zurück in die Waschschüssel, um es dem Hochzeitsbitter zu bringen.
Vor Schreck werde ich wach. Zum Glück war das nur ein Traum.
Erst dachte ich: was will mit der Traum mir damit sagen? Dann fiel mir die Redewendung ein: am Hungertuch nagen. Dazu entdeckte ich noch folgendes Zitat, das wie auf den Traum zugeschnitten ist.
Und so ließ man sie am Hungertuch nagen. Sie nagte daran und nagte, – aber es bekam ihr sehr gut. Je dünner sie wurde, um so weniger von ihrem Körper konnte verfallen, und Geist hatte sie ohnehin so gut wie gar nicht aufzugeben.
Erich Mühsam in „Psychologie der Erbtante“
¹ mein gelbes Klemmbrett, das neben meinem Bett liegt, falls ich einen Traum notieren möchte.