Der Läufer in Cordhose

Wie nach einem Sturz zu erwarten, zeigte sich auch bei mir erst am nächsten Tag, also gestern, wo es mich überall getroffen und erschüttert hat.  Lässt sich ganz kurz mitteilen: von Kopf bis Fuss. Mein Körper wird mit den vielen Reparaturen gut ausgelastet sein – was ich auch an meiner (fehlenden) Leistungsfähigkeit bemerke. Zur Entspannung ging ich abends doch noch laufen. Der meditative Zustand bei diesem langsamen Lauf war wohltuend. Ich nutzte die Verinnerlichung, durchspürte meinen Körper von oben bis unten, beobachtete die Verspannungen und Verhärtungen. Manchmal knackte es hörbar; da schien sich dann was zu lösen. Fast wie in Trance laufend, wollte ich nicht wegen eines Fotos auf der Strecke anhalten. Das folgende Bild passt dennoch dazu. Ich vermisse nämlich schon länger einen älteren Herrn, der mir zu dieser Tageszeit häufiger auf der Strecke begegnet war. Ich erinnerte mich gestern an unsere erste Begegnung …

In der Ferne bemerkte ich einen älteren Mann, der – so schien mir – bei meinem Anblick zum Laufen ansetzte. So wie das manchmal ältere Männer machen, um mich zu necken, oder was weiß ich. Das ist dann ein Laufen, das etwas unbeholfen wirkt, kaum von der Stelle zu führen scheint und gleich wieder aufhört, während mich ein erwartungsvoller oder blitzender Blick trifft.

Ich denke also: Aha, mal wieder so ein Spaßvogel. Schnell war klar, dass ich mich irrte. Er trabte zwar langsam, aber mit gleichmässigen, fast geschmeidigen Schritten. Als wir schließlich auf einer Höhe waren, nickten wir uns zu. Ich spürte da bereits so etwas wie Freude aufkeimen. Der war ja cool! Der brauchte keine Sportklamotten zum Laufen, sondern lief einfach in seiner zu weiten, braunen Cordhose und in so typischen Bequemschuhen. Er machte kurze Schritte, aber man konnte ahnen, dass er öfter lief.

Da ich damals häufiger zu der Uhrzeit dort war, begegneten wir uns jede Woche oder nur jeden Monat mal. Ich glaube, er kann ähnlich schlecht sehen wie ich. Mein Vorteil ist, dass ich ihn an seiner weiten Hose bald erkennen kann. Nach einigen Begegnungen winkte ich ihm also bereits voller Wiedersehensfreude zu, da hatte er mich noch gar nicht erkannt. Kurz bevor wir aneinander vorbei liefen, bemerkte ich ein Aufleuchten in seinem fahl-gelben Gesicht. Irgendwann war er dazu übergegangen, verhalten zu einem unscheinbaren Winken anzusetzen. Und ich war jedes Mal fast erleichtert: ach wie schön, da läuft er ja wieder!  Ich sehe nur wenige ältere Menschen, die in den Laufschritt wechseln, wenn das Laufen offenbar gar nicht mehr so einfach ist.

Das letzte Mal sah ich ihn kurz nach dem Winter. Seitdem nicht mehr. Als ich gestern also dort entlang lief, nahm ich mir vor, mal bewusst zu „unserer Uhrzeit“ wieder in dem Gebiet zu laufen. Ich hoffe sehr, ihn dort zu sehen.

Langsamer Lauf: 10,2 km | 1:04:11 | Pace: 6:18

 

5 Antworten zu “Der Läufer in Cordhose”

  1. Schade, daß er nicht mehr auftaucht.
    Was Du zu Anfang erzähltest, erlebte ich mal in Yukatan auf schöne Weise.
    Da neckte ein sehr alter, sitzender Mann in einem Dorf drei junge Mädchen, die da gerade miteinander schwätzten.
    Das war eine völlig harmlose Sache.
    Was mir gefiel, war, daß der alte Mann offenbar noch so empfänglich war.

    • Ja, Du beschreibst eine unbeschwerte Szene voller Leichtigkeit, und ich könnte mir vorstellen, dass die Mädchen auf eine heitere Weise auf den alten Mann reagiert haben. Jedenfalls reagiere ich meist „leichtfüßig“ auf diese Albernheiten – die wollen mich ja eh nicht wirklich ärgern.
      Gerade im Sommer bemerke ich auch, dass die Alten im Vorgarten stehen und auf die Straße schauen, als warteten sie auf irgendeine kleine Abweichung vom täglichen Allerlei. Passiert hier ja auch nichts. Wahrscheinlich ist da meine Fortbewegungsart schon ein kleines HIghlight, einfach weil mal was anders läuft. Der eine ruft da beispielsweise lachend hinteher: „Aber nicht noch mehr abnehmen!!“ Ein anderer fragt, wie viele Kilometer ich laufe und ob es nicht zu anstrengend ist. Das hat fast etwas Fürsorgliches und rührt mich sogar. Gerade das aber, dass mich diese Albernheiten irgendwie auch rühren, macht mir die Sache ein wenig lästig. Das ist aber eine längere Sache, die ich hier jetzt nicht auseinanderdröseln muss. 😉

      • Ich habe noch eine andere Geschichte:
        Eine ältere Frau, Engländerin, stellte ihren Stuhl immer in Malta auf den Trottoir, um zu einem Gespräch zu verlocken.
        Einmal stellte ich der betagten Dame sogar ihren Stuhl am Abend in den Vorhof zurück.
        Eine sehr schöne Erfahrung.
        Sie war nicht aufdringlich – ich unterhielt mich gerne mit ihr.
        Was ist denn schöner als zu sehen, daß Lebendigkeit und Fähigkeit zur Freude auch im Alter nicht verloren gehen muß.

    • Warum auch nicht? Im Kopf bleibt man trotzdem jung! Man muss sich nur selbst oft daran erinnern, wie alt man wirklich ist und wie man auf die Jugend wirkt. Aber es ist doch schön, wenn man lange Freude an den schönen Dingen hat.

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